SchaumburgerPostgeschichte.de
letzte Änderung: 11. Februar 2007
Heinz K. Selig, Ludwigsburg
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Die außerordentliche Reichsabgabe von 1916 und ihre Auswirkung auf den Aversionalvertrag in Schaumburg-Lippe

0. Schaumburg-Lippe

Das frühe Herrschaftsgebiet der seit dem 12. Jahrhundert nachgewiesenen Grafen zu Schaumburg entspricht dem heutigen Gebiet des Landkreises Schaumburg.

Die Grafschaft Schaumburg-Lippe (ab 1809 Fürstentum, ab 1918 Freistaat) entstand 1647 nach dem Aussterben des Schaumburger Grafenhauses. Aufgrund von Erbstreitigkeiten entstand durch Teilung dieser neue Staat. Schaumburg-Lippe wurde fortan von einer Nebenlinie des Hauses Lippe regiert, während die andere Hälfte an Hessen (Kassel) als hessische Grafschaft Schaumburg fiel.

Schaumburg-Lippe liegt zwischen Weser und Leine, ohne jedoch diese Flüsse zu berühren. Es grenzt an die welfischen Landen (später das Königreich Hannover) und an Westfalen (das spätere Königreich Preußen). Flächenmäßig ist Schaumburg-Lippe der zweitkleinste Bundesstaat (340 km2) des Deutsches Reiches.
Das Fürstentum Schaumburg-Lippe behielt von allen Kleinstaaten in Deutschland am längsten seine Eigenständigkeit. Erst im Jahre 1946 begründete es mit Braunschweig, der Provinz Hannover und Oldenburg das Land Niedersachsen.

1. Postgeschichtliche Ausgangssituation des Aversionalvertrages

Am 24. April 1871 kündigte die Fürstlich Schaumburg-Lippische Regierung in Bückeburg dem Generalpostamt in Berlin schriftlich an, dass die Behörden ab 1. Juli 1871 gemäß § 11 des Gesetzes vom 5. Juni 1869 über die Portofreiheiten am Portoablösungsverfahren teilnehmen wollen. Am 9. Mai 1871 teilte der Generalpostmeister Heinrich von Stephan der Fürstlich Schaumburg-Lippischen Regierung mit, dass er mit ihr ein Aversum zu vereinbaren beabsichtige.
Die äußere Bezeichnung der Postsendungen sollte durch den Vermerk „frei lt. Aversum 8 bzw. frei lt. Avers. 8“ erfolgen, da es sich um die 8. Vereinbarung dieser Art mit dem Generalpostamt handelte. Darüber hinaus schlug der Generalpostmeister vor, zur Ermittlung der Aversionalsumme die Portobeträge in der Zeit vom 1. Juni bis 28. Juni 1871 zu notieren, um eine Basis für die Aversionalsumme zu haben. Mit Schreiben vom 12. Mai 1871 erklärte sich die Regierung in Bückeburg mit diesem Vorgehen einverstanden. Dem Schreiben wurde eine Mustermarke mit der Aufschrift „frei lt. Avers. Nr. 8. / Fürstl. Schaumburg-Lippische Regierung“ beigefügt.

1.1 Begriffsbestimmung

In der folgenden Ausarbeitung wird der Begriff „Aversionalmarken“ verwendet.

Nach der gängigen Begriffsbestimmung (Beckstädt/1/ u.a.) hätte sicher die Bezeichnung „Averszettel“ verwendet werden können. Der Verfasser hat aber bewusst die Bezeichnung „Aversionalmarken“ gewählt, weil in allen Vertragsunterlagen Schaumburg-Lippes mit der Reichspost und in den Ausführungsbestimmungen an die Behörden und an die anderen Teilnehmer am Aversionalverfahren die „Aversionalzettel“ stets mit „Aversionalmarken“, „Aufklebemarken“ oder „Marken“ bezeichnet werden. - Briefmarken im eigentlichen Sinne sind diese „Aversionalmarken“ jedoch nicht. Bei einer weitergehenden Interpretation kann man vielleicht von Dienstmarkenvorläufern sprechen.

1.2 Aversionalmarken

Während der Zeit des Aversionalvertrages zwischen 1871 und 1920 wurde der Text auf den Marken fünfmal geändert. Die Größe der Marken (22 mal 20 mm) blieb während der Verwendungszeit gleich, während es beim Neudruck der Marken zu zahlreichen Farbvarianten der grünen Farbe kam, die sich sogar beim Nachdruck der einzelnen Ausgaben nachweisen lassen.

Die erste Ausgabe wurde mit dem Vermerk: "Frei lt. Avers. Nr. 8 Fürstl. Schaumburg-Lippische Regierung" gedruckt. Nach der Umbenennung der obersten Landesbehörde in "Landesregierung" - 1885 - wurde der Markenaufdruck anlässlich des Neudrucks in "Frei lt. Avers. Nr. 8 Fürstl. Schaumburg-Lippische Landesregierung" umbenannt. Seit 1893 nannte sich die oberste Landesbehörde "Ministerium". Entsprechend dieser Änderung wurde der Text in "Frei lt Avers. Nr. 8 Fürstl. Schaumburg-Lippisches Ministerium" geändert. Im Jahre 1904 regte die Reichspost an, künftig den Marken die Fassung "Frei durch Ablösung" zu geben. Die neue Fassung lautete: "Frei durch Ablösung Nr. 8 Fürstl. Schaumburg-Lippisches Ministerium". Nach der Abdankung des Fürstenhauses im November 1918 wurden Marken ohne den Aufdruck "Fürstl." hergestellt. Der Aufdruck der letzten Ausgabe heißt: "Frei durch Ablösung Nr. 8 Schaumburg-Lippisches Ministerium“.

1.3 Teilnehmer am Aversionalverfahren.

1916 waren folgende Behörden und Beamten berechtigt am Aversionalvertrag von Schaumburg-Lippe teilzunehmen:
  1. Fürstliches Ministerium in Bückeburg
  2. Fürstliches Landgericht in Bückeburg
  3. Fürstliches Amtsgericht in Bückeburg
  4. Fürstliches Amtsgericht in Stadthagen
  5. Fürstliches Landratsamt in Bückeburg
  6. Fürstliches Landratsamt in Stadthagen
  7. Fürstliches Landesbauamt in Bückeburg
  8. Fürstliches Katasteramt in Bückeburg
  9. Fürstl. Gendarmerie-Kommando in Bückebg.
  10. Fürstl. Gendarmerie-Sektion in Bückebg.
  11. Fürstl. Gendarmerie-Sektion in Stadthagen
  12. Fürstl. Gendarmerie-Sektion in Hagenburg
  13. Fürstl. Gendarmerie-Sektion in Lindhorst
  14. Fürstl. Gendarmerie-Sektion in Meinsen
  15. Fürstl. Gendarmerie-Sektion in Sülbeck
  16. Fürstl. Gendarmerie-Sektion in Steinbergen
  17. Fürstl. Staatsanwaltschaft in Bückeburg
  18. Fürstliche Amtsanwaltschaft in Stadthagen
  19. Fürstl. Gewerbekommission in Bückeburg
  20. Fürstliche Landeskasse in Bückeburg
  21. Fürstl. Ablösungstilgungskasse in Bückebg.
  22. Fürstlicher Gymnasialdirektor in Bückebg.
  23. Fürstl. Landesschulinspektor in Bückeburg
  24. Steuererheber Rinne in Bückeburg
  25. Steuererheber Wehling in Stadthagen
  26. Fürstl. Veranlagungsamt in Stadthagen
  27. Amtsanwalt in Forstsachen in Baum
  28. Amtsanwalt in Forstsachen in Bückeburg
  29. Amtsanw. in Forsts. in Stadthg.-Bruchhof
  30. Amtsanwalt in Forstsachen in Berghol
  31. Gerichtsvollzieher Vehling in Bückeburg
  32. Gerichtsvollzieher Schomburg in Stadthagen
  33. Kreisphysikus Dr. Burchard in Bückeburg

2. Politische Ausgangssituation zur Zeit der außerordentlichen Reichsabgabe

Die Bevölkerung litt 1916 während des 1. Weltkrieges schwer unter dem Lebensmittelmangel. Eine wachsende Friedenssehnsucht machte sich breit. Diese Bestrebung stand im krassen Gegensatz zum Beharren der Regierung, den Krieg bis zur völligen Niederwerfung des Gegners fortzuführen.
Diese schwieriger werdende innenpolitische Situation der Reichsregierung unter von Bethmann Hollweg veranlasste diese, immer neue Einnahmequellen zu suchen, um die ständig steigenden Kriegskosten zu decken.

Aus diesem Grunde kam es am 21. Juni 1916 zu einem „Gesetz, betreffend eine mit den Post- und Telegraphengebühren zu erhebende außerordentliche Reichsabgabe“ /2/ (siehe Abbildung 1).
„Gesetz, betreffend eine mit den Post- und Telegraphengebühren zu erhebende außerordentliche Reichsabgabe“
Abbildung 1: „Gesetz, betreffend eine mit den Post- und Telegraphengebühren zu erhebende außerordentliche Reichsabgabe“ - Kopfsatz -
Diese außerordentliche Reichsabgabe betraf alle allgemeinen Postgebühren, die seit dem 1. Januar 1875 nahezu gleich geblieben waren. So erhöhten sich die Gebühren nach Inkrafttreten des Gesetzes am 1. August 1916 um durchweg 50%/2/. Für einen Ortsbrief und eine Postkarte mussten 7 ½ Pfennig, statt 5 Pfennig, für einen Fernbrief 15 Pfennig statt bisher 10 Pfennig bezahlt werden.

Das Gesetz fand ebenfalls seine Anwendung auf die zwischen den einzelnen Deutschen Staaten und der Reichspost abgeschlossenen Aversionalverträge (Nummer 1 bis 34) und die damit verbundenen jährlich zu zahlenden Pauschalbeträge.

3. Auswirkung auf Schaumburg-Lippe

Für das Fürstentum Schaumburg-Lippe ergab sich 1916 folgende Situation:

Vor 1915 war es wiederholt zu Meinungsverschiedenheiten zwischen der Reichspost Oberpostdirektion Minden und der Schaumburg-Lippischen Regierung wegen der Höhe der Jahresabgabe gekommen. Dieser Streit führte sogar dazu, dass das Aversionalverfahren zeitweise ausgesetzt wurde. Die letzte Übereinkunft trat am 1. April 1913 unter der Bedingung in Kraft, dass ab 1914 jedes Jahr eine Neuermittlung der Aversionalsumme durch eine dreimonatige Zählung vorgenommen werden sollte. Die erste Zählung zur Erfassung der Aversionalsumme fand zwischen dem 1. Februar und dem 10. April1914 statt. Es wurde ein Betrag von 10.796,64 Mark ermittelt, der an die OPD Minden zu zahlen war. In den beiden Jahren 1915 und 1916 unterblieben aufgrund der schwierigen Bedingungen während des Krieges die Neuermittlungen der Ablösesummen durch die Behörden/4/.
Es gab also keine abgesicherte Basis für die Erhöhung der Ablösesumme durch die „außerordentliche Reichsabgabe“.
Daraufhin legte das Fürstlich Schaumburg-Lippische Ministerium am 19. Juli 1916 folgende Ausführungsbestimmung zur Durchsetzung der außerordentlichen Reichsabgabe fest:
„Wegen der Schwierigkeiten, die mit einer zu diesem Zweck erforderlichen erneuten Zählung der unter das Ablösungsverfahren fallenden Postsendungen verbunden sein würde, ist von der Aufnahme der Zuschläge in die im Übrigen vom hiesigen Staat (gemeint ist Schaumburg-Lippe) an die Reichspostverwaltung zu zahlende Pauschsumme Abstand genommen. Es bleibt danach nur der Weg einer Freimachung aller einzelnen, von den Behörden und Beamten ausgehenden zuschlagspflichtigen Sendungen in Höhe des Zuschlags übrig.“/4/ (Abbildung 2).
„Gesetz, betreffend eine mit den Post- und Telegraphengebühren zu erhebende außerordentliche Reichsabgabe - Anhang Zusammenstellung der Reichsabgaben“
Abbildung 2: „Gesetz, betreffend eine mit den Post- und Telegraphengebühren zu erhebende außerordentliche Reichsabgabe - Anhang Zusammenstellung der Reichsabgaben“ - Auszug -
Die Behörden wurden aufgefordert, ihre Bedarfe an den einzelnen Markensorten anzumelden. Zugleich wurden diese angewiesen, ein entsprechendes Portobuch zu führen, um einen Nachweis über die Verwendung der Freimarken erbringen zu können. Die erforderlichen Freimarken wurden von der Fürstlichen Landeskasse angekauft und nach Anforderungen der einzelnen Behörden an diese ohne Bezahlung vor dem Inkrafttreten des Gesetzes am 1. August 1916 abgegeben.

Die Behörden waren verpflichtet „neben den Ablösungsmarken die Zuschlagsfreimarken“/5/ zu verwenden. Als Beispiel sind hier folgende Portostufen gezeigt:
Postkarte aus Stadthagen nach Hagenburg vom 28. August 1916
Abbildung 3: Postkarte aus Stadthagen nach Hagenburg vom 28. August 1916 mit Aversionalmarke (4. Ausgabe) und Zusatzfrankatur gebührengerecht für Postkarten mit 2 ½ Pfennig Germaniamarke frankiert.
Ortsbrief aus Bückeburg im Nachbarortsverkehr vom 9. August 1916
Abbildung 4: Ortsbrief aus Bückeburg im Nachbarortsverkehr vom 9. August 1916 mit Aversionalmarke (4. Ausgabe) und Zusatzfrankatur gebührengerecht für einen Ortsbrief im Nachbarortsverkehr mit 2 ½ Pfennig Germaniamarke frankiert.
Fernbrief aus Bückeburg nach Berlin vom 5. Oktober 1916
Abbildung 5: Fernbrief aus Bückeburg nach Berlin vom 5. Oktober 1916 mit Aversionalmarke (4. Ausgabe) und Zusatzfrankatur gebührengerecht für einen Fernbrief mit 5 Pfennig Germaniamarke frankiert.
Fernbrief mit Zustellungsurkunde aus Bückeburg nach Stadthagen vom 4. September 1916
Abbildung 6: Fernbrief mit Zustellungsurkunde aus Bückeburg nach Stadthagen vom 4. September 1916 mit Aversionalmarke (4. Ausgabe) und Zusatzfrankatur gebührengerecht für einen Fernbrief mit Zustellungsurkunde mit 10 Pfennig Germaniamarke frankiert.
Der Alleingang von Schaumburg-Lippe, die Zuschlagsmarken direkt auf die Postsendungen zu verkleben und nicht die Pauschsumme aus dem Aversionalvertrag zu erhöhen, blieb nicht lange unwidersprochen.

Die OPD Minden richtete an die Fürstlich Schaumburg-Lippische Regierung „das dringende Ersuchen, dem von allen anderen deutschen Bundesstaaten, die am Ablösungsverfahren beteiligt sind, ...“ sich dem „gewählten Verfahren einer Erhöhung der Pauschsumme auf Grund von Zählungen der Postsendungen“/6/ anzuschließen.
Man einigte sich schließlich mit der OPD Minden darauf, dass die in den anderen Bundesstaaten angeordnete Zählung in Schaumburg-Lippe nicht durchgeführt werden musste. Stattdessen konnten hier die in der Zeit vom 16. bis 29. September und vom 1. bis 14. November verbrauchten Zuschlagsfreimarken zur Ermittlung der Pauschsumme herangezogen werden.

Am 16. September 1916 erließ das Fürstlich Schaumburg-Lippische Ministerium (N.M. 10 801) folgenden Beschluss: „Im Einvernehmen mit der Postverwaltung ordnen wir hiermit an, dass das jetzige Verfahren die Verwendung von Zuschlagsfreimarken zwecks Erhebung der Reichsabgabe mit Ablauf des 14. November d.Js. (1916) einzustellen ist.“/7/.

Die im Erfassungszeitraum in Schaumburg-Lippe ermittelten Zuschlagsmarken ergaben einen Betrag von 253,05 Mark. Aus dieser Summe ergab sich eine Erhöhung des Pauschbetrages um 30,466%. Der an die OPD Minden ab 1. August 1916 zu zahlende jährliche Aversionalbetrag stieg um 3 289,30 Mark auf 14 085,94 Mark/4/.

4. Verwendete Literatur/Quellen

/1/   Beckstädt, Alfred: „Die Averszettel der Deutschen Reichspost“, Berlin 1963

/2/   Reichsgesetzblatt Jahrgang 1916 Nr. 138 Seite 146 ff. (Nr. 5277)

/3/   Miches Deutschland Spezial 1993 S. 186

/4/   Gora, Hubert: „Frei lt. Avers. Nr. 8.“, in Postgeschichtliche Blätter Hannover Braunschweig, Heft 4, Juni 1980.

/5/   N.M. Fürstlich Schaumburg-Lippisches Ministerium Akte 8 659 vom 19. Juli 1916.

/6/   N.M. Fürstlich Schaumburg-Lippisches Ministerium Akte 10 371 vom 6. September 1916.

/7/   N.M. Fürstlich Schaumburg-Lippisches Ministerium Akte 10 801 vom 16. September 1916